Christine Kofler
Rechtsanwältin und Mediatorin

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Services Familienrecht

 
Versorgungsausgleich bei sehr langer Trennungszeit (OLG Brandenburg, Az. 13 UF 25/21 vom 22.02.2022)
Als die Ehepartner sich 2006 trennte, schlossen sie einen „Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrag“, in dem sie wechselseitig auf Unterhalt verzichteten Gütertrennung vereinbarten. Der Versorgungsausgleich sollte nach den gesetzlichen Bestimmungen durchgeführt werden.
Im Rahmen der Scheidung führte das Amtsgericht 2021 den Versorgungsausgleich durch. Es begrenzte ihn aber auf den Ausgleich der Anwartschaften, die die Ehepartner in der Ehe bis zum Ende des Trennungsjahres, d.i. zum 30. 06.2007, erworbenen hatten.
Unter anderem begründeten die Richter diese Begrenzung mit der langen Trennungsdauer von über zehn Jahren sowie der vollständigen wirtschaftlichen Entflechtung der Ehepartner ab der Trennung.
Damit waren beide Ex-Partner nicht einverstanden.
Die Frau war der Meinung, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs einseitig ihren Ex-Mann begünstige. Unter anderem habe sie die Kreditverbindlichkeiten für die gemeinsame Immobilie allein übernommen. Außerdem seien die Einkünfte des Mannes aus seinem Gewerbebetrieb bei der Vermögensaufteilung unberücksichtigt geblieben.
Der Mann verwies auf die notarielle Vereinbarung von 2006, aus der sich ergebe, dass über die Durchführung des Versorgungsausagleichs Einvernehmen bestanden habe. Er legte gegen den teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs Beschwerde ein.
Das OLG Brandenburg entschied, dass der Versorgungsausgleich auf den Zeitraum von Ehebeginn bis zum 30.06.2007 beschränkt blieb. Die vertragliche Einigung, den Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen, stehe nicht im Widerspruch zu einer teilweisen Beschränkung, so das Gericht. Aus Sicht des Gerichts lagen die Voraussetzungen für einen teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs vor. Offensichtlich sei zwischen den Ehepartnern mit der Trennung eine vollständige wirtschaftliche Entflechtung eingetreten. Die rund 13 Jahre andauernde Trennungszeit stehe in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu der Zeit des Zusammenlebens. Eine besonders lange Trennungszeit könne bei einer vollständigen wirtschaftlichen Verselbständigung der Ehepartner ab der Trennung die Beschränkung des Versorgungsausgleichs auf die Zeit des Zusammenlebens rechtfertigen. In der Regel sei dann der Versorgungsausgleich auf den Zeitpunkt zu beschränken, an dem ein Scheidungsantrag nach der Trennung erstmals hätte gestellt werden können, also nach Ablauf des Trennungsjahres (Oberlandesgericht Brandenburg am 22. Februar 2022 (AZ: 13 UF 25/21.)
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Kindergeldanträge mittels E-Mail sind zulässig!
Ein Kindergeldantrag, der mittels einer E-Mail gestellt wird, stellt einen wirksamen Kindergeldantrag im Sinne des § 67 S. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) dar, soweit er ausreichende Angaben enthält, um der Familienkasse eine Ermittlung der Kinder, für die dieses Kindergeld beantragt wird, zu ermöglichen (so das Urteil 5-K-1714/20 des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 06.07.2021).

Zur steuerlichen Absetzbarkeit von Scheidungskosten
Anderes als die unmittelbaren Scheidungskosten sind Scheidungsfolgekosten – dies sind die Kosten, die entstehen, wenn vor Gericht um Unterhalt, Ehewohnung und Haushalt, Güterrecht, Sorge- oder Umgangsrecht gestritten wird – nach der Änderung des Einkommenssteuergesetzes von 2013 nicht abzugsfähig, da sie nicht zwangsläufig mit einer Scheidung entstehen.
Diese Fragen können auch in einer außergerichtlichen Scheidungsfolgenvereinbarung geregelt werden.
(FG Rheinland-Pfalz vom 16.10.2014, 4 K 1976/14 ).



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Keine Aufrechnung gegen Unterhaltsansprüche, auch wenn diese auf das Sozialamt übergegangen sind!

Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss XII ZB 192/11 vom 08.05.2013.

Gegen Unterhaltsforderungen kann mit privaten Forderungen gegen den Unterhaltsgläubiger auch dann nicht aufgerechnet werden, wenn diese Unterhaltsansprüche auf das Sozialamt übergegangen sind.

Im entschiedenen Fall waren Unterhaltsansprüche einer mit dem Vater nicht verheirateten Kindsmutter auf das Jobcenter übergegangen.
Der Vater wurde dann vom Jobcenter auf Zahlung rückständigen Betreuungsunterhalts in Anspruch genommen - in Höhe der vom Amt geleisteten Zahlungen.
Gegen diese Ansprüche wollte der Vater des Kindes mit Darlehensansprüchen gegen die Kindsmutter aufrechnen.

Amtsgericht und Oberlandesgericht hatten der Aufrechnung widersprochen und den Kindsvater antragsgemäß zur Zahlung an das Jobcenter verurteilt.

Der XII. Zivilsenat hat dies ebenso gesehen und die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Zur Begründung führte BGH aus, dass durch das Aufrechnungsverbot auch die Sozialsysteme geschützt werden sollen, die für das Existenzminimum eines Unterhaltsberechtigten einzustehen hätten.
Untersage man hier, dass sich die Träger dieser Sicherung der Lebensgrundlage auf das Aufrechnungsverbot berufen, triebe der Unterhaltspflichtige seine anderweitige Forderung - hier die Darlehensforderung - gegen den Unterhaltsberechtigten zu Lasten der Allgemeinheit bei.




Gemeinsames Sorgerecht nicht immer im Sinne des Kindeswohls!
(OLG Brandenburg, - 10 UF 45/12 vom 26.06.2012)

Die Anordnung des gemeinsamen Sorgerechts zu Gunsten des nichtehelichen Vaters ohne Zustimmung der Mutter verbietet sich dann, wenn bei beiden Elternteilen so erhebliche Vorbehalte gegen den jeweils andern bestehen, dass ein vertrauensvolles Zusammenwirken im Interesse des Kindeswohls ausgeschlossen erscheint.

Das war der konkrete Fall:

Aus der nichtehelichen Beziehung der Beteiligten ist ein im Oktober 2008 geborenes Kind hervorgegangen, das seit der Trennung der Eltern im Oktober 2010 bei seiner Mutter lebt. Der Vater hatte die Vaterschaft noch vor der Geburt wirksam anerkannt. Eine gemeinsame Sorgeerklärung gaben die Eltern nicht ab.

In dem vorliegenden, vom Vater eingeleiteten, Sorgerechtsverfahren ordnete das Amtsgericht im Februar 2012 an, dass die elterliche Sorge für das Kind zukünftig gemeinsam ausgeübt wird. Nach Meinung des Amtsgerichts hatte ein Termin bei einer Familien- und Erziehungsberatung zwar zu keiner Verbesserung der streitigen Kommunikation über das gemeinsame Kind geführt; es sei jedoch davon auszugehen, dass durch weitere Beratung und eine zunächst schriftliche Kommunikation zwischen den Eltern eine weitere Entspannung eintrete. Dafür spreche auch der Umstand, dass die Eltern ihre unterschiedlichen Meinungen nicht vor dem Kind austauschen würden.

Diesen Beschluss des Amtsgerichts hob das Oberlandesgericht nun auf die Beschwerde der Mutter hin mit dem Beschluß vom 26.06.2012 auf und wies den Antrag des Vaters zurück.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss 1 BvR 420/09 vom 21.07. 2010 (FamRZ 2010, 1403) die Regelungen der §§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und 1672 Abs. 1 BGB für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG erklärt hat, ist der Gesetzgeber nun aufgerufen, für den bisher nicht sorgeberechtigten Vater eine Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung zu schaffen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen oder ihm - in Abwägung seines Elternrechts mit dem der Mutter - sogar die alleinige Sorge für das Kind zu übertragen ist.

Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung muss das Familiengericht gemäß der vorläufigen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge ganz oder teilweise gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.

Zwar dient es grundsätzlich dem Wohl eines Kindes, wenn es in dem Bewusstsein lebt, dass beide Elternteile für es Verantwortung tragen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Kind zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung hat und wenn sich beide um das Kind kümmern und Kontakt mit ihm pflegen.

Die gemeinsame elterliche Sorge ist allerdings nur möglich, wenn zwischen den Eltern nicht nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung besteht, sondern wenn sie auch kooperationsfähig und -bereit sind und über eine angemessene Kommunikationsbasis verfügen.

Das Oberlandesgericht knüpft die Zurückweisung des Antrags des Vaters allerdings ausdrücklich nicht an die unterschiedlichen Auffassungen der Eltern über die Angelegenheiten des Kindes wie z.B. Fragen der Einschulung, der Freizeitaktivitäten (Musik, Sport), der Hobbys oder auch der Gesundheits-
fürsorge und der medizinischen Behandlungen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Eltern derzeit und in absehbarer Zukunft grundsätzlich nicht in der Lage sein werden, miteinander angemessen zu kommunizieren.

Ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern aber ist nach Auffassung des Oberlandesgerichtes nicht zu verantworten, soweit bei beiden Elternteilen so erhebliche Vorbehalte gegen den jeweils anderen bestehen, dass sie Abstimmungen und ein vertrauensvolles Zusammenwirken im Interesse des Kindeswohls ausschließen.

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Kindergeldanspruch besteht bis zum Abschluss eines dualen Studiums mit studienintegrierter praktischer Ausbildung im Lehrberuf
(Bundesfinanzhof, Az. III-R-52/13 v. 03.07.2014, Pressemitteilung vom 05.11.2014)

Der III. Senat des Bundesfinanzhofs hat mit Urteil vom 03.07.2014 entschieden, dass Eltern für ihr Kind, dass während eines ernsthaft durchgeführten dualen Studiums einen Abschluss in einer studienintegrierten praktischen Ausbildung erzielt, einen Kindergeldanspruch bis zum dauerhaften Bachelorabschluss im ausgewählten Studiengang geltend machen können.
Da es sich hierbei um eine einheitliche Erstausbildung handelt, ist es für den Kindergeldanspruch unschädlich, wenn das Kind nach Abschluss seiner Lehre neben dem Studium mehr als 20 Stunden pro Woche gearbeitet hat.




Fahrtkosten, der Großelternteil aufgrund der unentgeltlichen Betreuung seiner Enkelkinder entstanden sind und ihm vereinbarungsgemäß von den Eltern des Kindes erstattet Werden, werden bei entsprechender Vertragsgestaltung einem den Eltern als erwerbsbedingte Betreuungskosten nach § 4 f EStG anerkannt.
(Finanzgericht Baden-Württemberg, Aktenzeichen 4 K 3278/11 vom 09.05.2012)

Entscheidend ist hier, dass die Vereinbarung zwischen den Betroffenen, also den Elternteil und dem betreuenden Großelternteil über den Ersatz der Fahrtkosten auch bei Betreuung durch einen fremden Dritten so üblich wären.

Hätten die berechtigten die Übernahme weiterer Kosten der Kinderbetreuung vereinbart als nur die der Fahrt, wären diese Beträge ebenso steuerlich zu berücksichtigen gewesen.

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Oberlandesgericht Oldenburg zur Frage der Unterhaltspflicht von Großeltern

Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden.
Diese Verpflichtung kann gemäß § 1607 BGB auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt.

Das Amtsgericht war der Auffassung, es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und hierdurch den Barunterhalt für ihr Kind aufbringen könne. Daher hatte es den Auskunftsantrag zurückgewiesen. 

Das Oberlandesgericht Oldenburg aber hat diese Frage anders entschieden:
Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse.
Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen.
Um ihren eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt von derzeit 1.400 Euro, nicht etwa nur der notwendige Selbstbehalt, belassen werden.
Da die Mutter hier auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und die derzeit 1.400 Euro angemessenenSelbstbehalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht.
Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle, denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen.
Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden.
Nach Auskunfterteilung ist zu entscheiden, ob die Großeltern hier tatsächlich Unterhalt schulden.

OLG Oldenburg, 13 UF 85/21, Beschluss vom 16.12.2021.



Keine Zuständigkeit der Familiengerichte gemäß § 1666 BGB für infektionsschutzrechtliche Regelungen an Schulen!
Das Oberlandesgericht (OLG) Jena entschied in seinem Beschluss mit Az 1 UF 136/21 vom 14.05.2021 - wie bereits am 05.05.2021 das Oberlangesgericht Frankfurt am Main (Az. 4 UF 90/21) -, dass die Familiengerichte nicht für die Überprüfung von Corona-Schutzmaßnahmen an Schulen zuständig sind.
Die gerichtliche Kontrolle von behördlichen Maßnahmen an Schulen obliegt ausschließlich den Verwaltungsgerichten.
Das nun durch das Oberlandesgericht korrigierte Amtsgericht Weimar hatte in seinem der OLG-Entscheidung vorhergehenden Beschluss vom 08.04.2021 entschieden, schulinterne Maßnahmen wie die Anordnung des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes und der Einhaltung der Abstandsregeln zum Schutz des Kindeswohls gemäß § 1666 BGB nicht nur bzgl. der von dem Verfahren direkt betroffenen Kinder, sondern gleich auch noch für alle Schüler dieser Schule außer Kraft zu setzen.
Es sah sich berechtigt, die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften zu überprüfen.

Das Oberlandesgericht Jena hat hierzu klargestellt, dass Familiengerichte hierfür keinerlei Kompetenz haben und die Beurteilung dieser Fragen allein den Verwaltungsgerichten obliegt.Der erste Senat des OLG Jena hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen.

Gegen den Familienrichter am Amtsgericht Weimar wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingeleitet.
_______________________________________________________________________
OLG Frankfurt a.M., Beschluss mit Az. 4 UF 90/21 vom 05.05.2021:
Der 4. Senat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main entschied am 05. Mai 2021, dass der Erlass infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen gegenüber einer Schulleitung bzw. Lehrkräften rechtlich nicht im Rahmen eines familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahrens möglich ist.
Zuständig hierfür seien ausschließlich die Verwaltungsgerichte.
Das Oberlandesgericht bestätigte somit die amtsgerichtliche Ablehnung der Eröffnung eines Verfahrens, dessen Einleitung die Eltern eines knapp zehnjährigen Kindes vor dem Familiengericht beantragt hatten, um die Schulleitung sowie die Lehrkräfte der Grundschule ihres Kindes anzuweisen, die dort geltende Maskenpflicht und die geltenden Abstandsregelungen aufzuheben.

 

Oberlandesgericht Oldenburg zur Frage der Unterhaltspflicht von Großeltern

Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden.
Diese Verpflichtung kann gemäß § 1607 BGB auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt.

Das Amtsgericht war der Auffassung, es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und hierdurch den Barunterhalt für ihr Kind aufbringen könne. Daher hatte Es den Antrag zurückgewiesen. 
Das Oberlandesgericht Oldenburg aber hat diese Frage janders entschieden.
Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse.
Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen.
Um ihren eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt von derzeit 1.400 Euro, nicht etwa nur der notwendige Selbstbehalt, belassen werden.
Da die Mutter hier auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und die derzeit 1.400 Euro angemessenenSelbstbehalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht.
Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle, denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen.
Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden.
Nach Auskunfterteilung ist zu entscheiden, ob die Großeltern hier tatsächlich Unterhalt schulden.

OLG Oldenburg, 13 UF 85/21, Beschluss vom 16.12.2021.


Urteil XII 65/10 vom 18.04.2012 des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts: Ansatzpunkte einer milderen Rechtsprechung für unterhaltsberechtigte Alleinerziehende?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 18.04.2012 mit dem Aktenzeichen XII 65/10 erneut darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Betreuungsunterhalt für ein Kind bzw. Kinder über 3 Jahren bestehen kann, der betreuende Elternteil also nicht vollschichtig erwerbstätig sein muss.

Bei Betrachtung der BGH-Rechtsprechung der letzten Jahre entstand zunehmend der Eindruck, als ob der BGH an die kind- wie an die elternbezogenen Gründe für einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt über den dritten Geburtstag des Kindes hinaus einen derart hohen Maßstab legen wolle, dass diese faktisch kaum mehr zum Tragen kommen konnten.

Diesen Eindruck bestätigt die vorliegende Entscheidung des zwölften Senats nicht:

Der zwölfte Senat bejaht hier etwa einen Betreuungsanspruch bei drei minderjährigen Kindern, die nachmittags sportlichen Aktivitäten nachgehen, die sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichen können. Der kinderbetreuende Elternteil könne durch die Fahrdienste am Nachmittag, die bereits bei bestehender Ehe so ausgeführt wurden und nicht anderweitig organisierbar sind, nicht in Vollzeit erwerbstätig sein; im konkreten Fall wurde die Verpflichtung zu einer Tätigkeit von 80 % bejaht.

Ebenso kann eine erforderliche Unterstützung bei den Hausaufgaben dazu führen, dass eine Vollzeittätigkeit nicht erwartet werden kann, sofern die Notwendigkeit der Hausaufgabenbetreuung sowie deren Dauer hinreichend konkret vorgetragen werden. Allgemein sieht der zwölfte Senat die Möglichkeit einer Überbelastung des betreuenden Elternteils, da auch bei einer Vollzeit-Fremdbetreuung in Kindergarten oder Schule zusätzliche Erziehungs- und Betreuungsleistungen am Morgen, am späten Nachmittag und am Abend erbracht werden.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nach wie vor nur eine Einzelfallbeurteilung möglich ist und sich eine pauschale Bezifferung der von dem betreuenden Elternteil neben der Kinderbetreuung zu leistenden Arbeitszeit weiterhin verbietet.

Die Berücksichtigung vieler einzelner, konkret vorgetragener Gesichtspunkte im Alltag der Kinder sowie des betreuenden Elternteils aber scheint nach diesem Urteil leichter geworden zu sein.

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Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass ein vom Unterhaltsberechtigten ausgehender einseitiger Kontaktabbruch gegenüber seinem volljährigen Sohn für eine Verwirkung seines Anspruchs auf Elternunterhalt allein regelmäßig nicht ausreicht. Neu abgrenzend zur Verwirkung des Elternunterhaltsanspruchs: Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil mit dem Az. XII-ZB-607/12, Pressemitteilung Nr. 27/2014 vom 12.02.2014

Die Antragstellerin, die Freie Hansestadt Bremen, verlangt von dem Antragsgegner aus übergegangenem Recht Elternunterhalt. Die Eltern des 1953 geborenen Antragsgegners trennten sich 1971.
Der Antragsgegner blieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch einen losen Kontakt zu seinem Vater.
Nach Erreichen des Abiturs im Jahr 1972 brach der Kontakt des volljährigen Sohnes zu seinem 1923 geborenen Vater ab.
Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus den Erträgen einer Lebensversicherung sowie einer geringen Altersrente. 1998 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte und bestimmte, dass der Antragsgegner nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle, da zu seinem Sohn seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr bestehe. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung und  starb im Februar 2012.
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Hinblick auf die seinem Vater in der Zeit von Februar 2009 bis Januar 2012 nach dem Sozialgesetzbuch erbachten Leistungen auf Zahlung eines Gesamtbetrages von 9.022,75 € in Anspruch.

Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg am 25.10.2012 den Antrag zurückgewiesen, da der Anspruch auf Elternunterhalt verwirkt sei (Az. 14 UF 80/12, näheres zu dieser Ende 2012 großes Aufsehen erregenden und Ihnen daher auf dieser Kanzleihomepage vorgestellten Entscheidung weiter unten).
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss des Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben, die Beschwerde zurückgewiesen und damit die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Der - zur Höhe unstreitige - Anspruch auf Elternunterhalt war trotz des Kontaktabbruchs zu dem volljährigen Sohn nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB  verwirkt.

Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt wegen der darin liegenden Verletzung der sich aus § 1618 a BGB ergebenden Pflicht zu Beistand und Rücksicht zwar regelmäßig eine Verfehlung dar.
Diese führt aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts.

Solche Umstände sah der BGH -anders als das OLG Oldenburg in seinem Beschluss 14 UF 80/12 vom 25.10.2012 - hier nicht als gegeben.
Zwar könne man in dem Verhalten des Vaters durchaus eine Aufkündigung des familiären Bandes zu seinem volljährigen Sohn sehen.
Da dieser sich aber in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert hatte, hatte er gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt.
Die Errichtung des Testaments selbst -auch mit dieser Formulierung "strengster Pflichtteil"-  stelle keine Verfehlung dar, da der Vater insoweit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht habe.

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Vorinstanz OLG Oldenburg, Beschluss 14 UF 80/12 vom 25.10.2012: Kein Elternunterhaltsanspruch bei herabwürdigendem Kontaktabbruch

* Entscheidende Norm ist hier § 1611 Abs. 1 BGB:

Ist der Unterhaltsberechtigte durch eigenes sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschied in seinem Urteil 14 UF 80/12 vom 25.10.2012, dass ein Elternteil seinen Anspruch auf Elternunterhalt gemäß § 1611 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verwirkt hat, wenn es durch unwürdiges Verhalten das Familienband zu seinem ansonsten unterhaltspflichtigen Kind zerrissen hat.

In dem von dem OLG Oldenburg zu entscheidenden Fall war das Kind bei der Trennung der Eltern achtzehn Jahre alt und wurde in der Trennungssituation sowohl Zeuge, als auch selber Opfer, der Handgreiflichkeiten des Vaters (u.a. hierauf geht die Pressemitteilung zu o.g. BGH-Entscheidung gar nicht ein).

Der anfangs noch lose Kontakt zwischen Kind und Vater ebbte schnell ab und der Vater zeigte weder Interesse an der Mitteilung des Kindes, dass es sein Abitur bestanden, noch daran, dass es sich verlobt hatte. Auch auf der Beerdigung des Großvaters wechselten Vater und Kind keinerlei persönliche Worte.

1998 errichtete der Vater schließlich ein Testament und enterbte sein Kind, da seit 27 Jahren kein Kontakt bestanden habe.

Es gibt keinerlei Zweifel an der Vorsätzlichkeit des väterlichen Handelns.

Das OLG betrachtet die Inanspruchnahme des ansonsten grundsätzlich unterhaltspflichtigen Kindes in dem vorliegenden Fall als grob unbillig und den Anspruch als vollständig verwirkt gemäß § 1611 Abs.1 BGB, so dass hier auch kein Forderungsübergang auf den Sozialhilfeträger nach § 94 Abs. 3 Nr. 2 des Sozialgesetzbuchs XII (SGB XII) möglich war.

Nach Auffassung des OLG verstößt  das Verhalten des Vaters gegen die Beistandspflicht gemäß § 1618a BGB und zeigt einen groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme. Die Zurückweisung der Kontaktversuche des Kindes bei dessen Mitteilungen von dem bestandenen Abitur und der beabsichtigten Verlobung wertet das OLG als schwere Kränkung.

Wer sich aber  wie dieser Vater bewusst und dauerhaft von jeglichen Beziehungen persönlicher und wirtschaftlicher Art zu seinen Kindern löst, tritt aus dem familiären Solidarverband und kann dementsprechend auch keine solidarische Unterstützung mehr erwarten.

Geschieht dies noch auf eine derartig traumatisierende Art, muss dem sonst unterhaltspflichtigen erwachsen Kind  die Auferlegung einer Zahlungspflicht besonders unbillig erscheinen, insbesondere da der Unterhaltsanspruch aus § 1601 BGB sich nicht unmittelbar aus dem rechtlichen Status der Verwandtschaft legitimiert, sondern seine Wurzeln in der hier gerade von dem Vater nachdrücklich gebrochenen lebenslangen familiären Solidarität und Verantwortung hat.

Das OLG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verwirkung von Unterhaltsansprüchen bei gestörten Familienverhältnissen die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Stadt Bremen hat die Rechtsbeschwerde eingelegt, so dass die Frage dem BGH vorlag und vom Zwölften Senat am 12.02.2014 mit dem Az. XII - ZB-607/12 - wie oben dargestellt -  höchstinstanzlich entschieden wurde.

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Weinsammlung ist kein Haushaltsgegenstand im Sinn des § 1568 b BGB!
OLG München 12 UF 161/11 vom 01.08.2011

Zwar eine Entscheidung des OLG München, aber wichtig auch hier für uns in Rheinhessen und für alle Weinliebhaber:

Ein Münchener Ehemann, der sich schon lange intensiv für Weine interessierte, hatte im Lauf der Jahre eine Sammlung teilweise sehr wertvoller Weine - darunter z.B. ältere Jahrgänge Chateau Petrus und Chateau Lafleur - angeschafft. Während die Ehefrau nur ab und zu einen Schluck davon mittrank, kümmerte sich der Ehemann sorgfältigst um den Bestand: er dokumentierte anhand einer Liste die gesammelten Flaschen, überwachte zu welchem Zeitpunkt ein Konsum am besten in Frage kam und wählte entsprechende Weine zum Verzehr aus. Den Schlüssel zum Weinkeller hatte nur der Ehemann. Als sich das Ehepaar scheiden ließ, verlangte die Ehefrau die Zuteilung der Hälfte dieser Weinflaschen als Haushaltsgegenstände gemäß § 1568 b BGB, hilfsweise Schadensersatz in Höhe von 250.000 Euro.

Das Amtsgericht München hatte diesen Antrag abgelehnt und das Oberlandesgericht München die Berufung der Ehefrau zurückgewiesen:

Das Oberlandesgericht hat die Auffassung des Amtsgerichts bestätigt, dass der Weinvorrat in einem solchen Fall kein Haushaltsgegenstand ist: Gegenstände, die zum persönlichen Gebrauch bestimmt sind und so sehr den individuellen Interessen eines der Ehegatten wie hier der Weinvorrat, - ähnlich einer Münz- oder Briefmarkensammlung - dienen, fallen nicht unter den Begriff der Haushaltsgegenstände, wobei die Zweckbestimmung und Nutzung im Einzelfall entscheidend ist.

Dieser Weinkeller ist ausschließlich von dem Ehemann bewirtschaftet und gepflegt worden. Er allein hat die hierfür bestimmten Weine ausgewählt, erworben sowie die zum Verzehr bestimmten Weine – teilweise minutiös nach dem besten Verköstigungszeitpunkt – ausgewählt. Die Ehefrau hat nur selten den von ihrem Mann ausgewählten Wein getrunken und sich nie an der Auswahl oder dem Erwerb der Weine beteiligt. Somit hat der Wein nicht der gemeinsamen Lebensführung gedient, sondern ist in diesem Fall eine Liebhaberei bzw. ein Hobby des Ehemannes.

Eine Aufteilung des Hausrats scheitert neben dieser fehlenden Einordnung als Haushaltsgegenstand auch am fehlenden gemeinschaftlichen Eigentum der Beteiligten an diesem Weinvorrat; ein Ausgleich kann in derartigen Fällen nur über den Zugewinnausgleich erfolgen.

TIP: Machmal wäre es doch eine gute Idee, einen guten Schluck mehr zu probieren oder auch mal ein oder zwei gute Flaschen Wein selbst zu kaufen;-)


 

Dauerbrenner Fiktive Einkünfte: Pressemitteilung Nr. 51/2012 vom 06.07.2012 zu den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom BvR 774/10, 1 BvR 1530/11, 1 BvR 2867/11 vom 18.06.2012

In den o.g. Verfahren hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit den Voraussetzungen befasst, die an die Feststellung der Erwerbsfähigkeit und Erwerbsmöglichkeiten eines Unterhaltspflichtigen zu stellen sind.

Reicht das Einkommen eines Unterhaltspflichtigen unter Wahrung seines Selbstbehalts nicht aus, um seine Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind in vollem Umfang zu erfüllen, können ihm grundsätzlich fiktiv die Einkünfte zugerechnet werden, die er erzielen könnte, wenn er eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit ausüben würde.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 774/10 stammt aus Ghana und ist der deutschen Sprache nur begrenzt mächtig. Als Küchenhilfe bezieht er einen Nettoverdienst von rund 1.027 € monatlich. Das Amtsgericht verurteilte ihn, an seinen minderjährigen Sohn den Mindestunterhalt von damals 199 € im Monat zu zahlen. Es sei davon auszugehen, dass er als ungelernte Arbeitskraft bei entsprechenden Bemühungen eine Erwerbstätigkeit finden könne, die mit einem Bruttostundenlohn von 10 € vergütet werde, so dass er von dem sich ergebenden Nettoeinkommen unter Berücksichtigung des Selbstbehalts in Höhe von 900 € den Mindestunterhalt in Höhe von 176 € decken könne. Den Fehlbetrag von 23 € müsse er mit einer Nebentätigkeit erwirtschaften.

Der 1953 geborene Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1530/11, gelernter Baumaschinist und Betonfacharbeiter, ist körperlich behindert und lebt von Sozialleistungen. Das Amtsgericht verurteilte ihn zur Zahlung des Mindestunterhalts in Höhe von damals 285 € im Monat, wobei es unterstellte, dass der Beschwerdeführer bei überregionalen Bemühungen eine Arbeit, beispielsweise als Nachtportier oder Pförtner, finden könne, durch die er ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.235 € monatlich erzielen könne.

Der körperlich behinderte Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2867/11 lebt ebenfalls von Sozialleistungen. Er wurde vom Amtsgericht zur Zahlung eines Unterhalts von 225 € monatlich verpflichtet. Seine körperlichen Einschränkungen entbänden ihn nicht davon, alles ihm Mögliche zur Sicherung des Unterhalts seines minderjährigen Kindes zu unternehmen. Da er keine Angaben zu seinen Bemühungen um eine Arbeit gemacht habe, sei fiktiv von seiner Fähigkeit zur Zahlung des Mindestunterhalts auszugehen.

Die von den Beschwerdeführern jeweils eingelegten Rechtsmittel hatten vor den Oberlandesgerichten keinen Erfolg.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen, und die Sachen jeweils an das zuständige Oberlandesgericht zur Entscheidung zurückverwiesen.
Den Beschlüssen liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Eltern haben gegenüber ihren minderjährigen Kindern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Es ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese „bei gutem Willen“ ausüben könnte.
Gleichwohl bleibt Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Auch im Rahmen der gegenüber minderjährigen Kindern gesteigerten Erwerbsobliegenheit haben die Gerichte dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen und im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen.
Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der finanziellen Dispositionsfreiheit des Verpflichteten als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen.

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte zur Begründung der Leistungsfähigkeit setzt zweierlei voraus: Zum einen muss feststehen, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt.

Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht, weil sie keine tragfähige Begründung für die Annahme enthalten, der Beschwerdeführer könnte bei einem Arbeitsplatzwechsel bzw. bei ausreichenden, ihm zumutbaren Bemühungen um einen Arbeitsplatz ein Einkommen in der zur Zahlung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe erzielen.

1. Im Verfahren 1 BvR 774/10 hat das Oberlandesgericht ohne nähere Begründung und ohne seine eigene Sachkunde näher darzulegen festgestellt, einem ungelernten Mann sei es möglich, einen Bruttostundenlohn von 10 € zu erzielen. Dass es sich dabei an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und an den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert hat, ist der angegriffenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht hat sich insbesondere nicht mit dem derzeit für eine ungelernte Kraft erzielbaren Lohn bzw. den aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen auseinandergesetzt. Soweit sich der Beschwerdeführer zusätzlich gegen die Anrechnung fiktiver Einkünfte aus einer geringfügigen Nebentätigkeit wendet, ist seine Verfassungsbeschwerde dagegen unzulässig, weil er eine Verletzung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit nicht dargetan hat. Eine Obliegenheit zur Erzielung von Nebeneinkünften, die dem Unterhaltspflichtigen bei der Unterhaltsberechnung fiktiv zugerechnet werden können, ist nur dann anzunehmen, wenn und soweit ihm die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet. Danach ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es ihm unter Abwägung seiner besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben, und ob der Arbeitsmarkt entsprechende Nebentätigkeiten für den Betreffenden bietet. Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Unterhaltsverpflichteten. Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass und aus welchen Gründen ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist.

2. In den Verfahren 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 haben die Gerichte zwar zutreffend festgestellt, dass die Beschwerdeführer sich nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht haben. Sie haben jedoch ebenfalls keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, dass die Beschwerdeführer bei Einsatz ihrer vollen Arbeitskraft und bei Aufnahme einer ihren persönlichen Voraussetzungen entsprechenden Arbeit objektiv in der Lage wären, ein Einkommen in der zur Leistung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe zu erzielen. Zu dieser Feststellung hätte es einer konkreten Prüfung unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Beschwerdeführer, ihres Alters und ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen sowie der tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt bedurft. Ohne diese konkrete Prüfung hätten die Gerichte nicht auf die volle Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführer in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen.

 

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